Obdachlos (sie)
Einst fing der Spiegel an der Wand
ihr Bild am Morgen ein.
Und einstmals hat sie es gekannt
geborgen und beschützt zu sein.
Einst formte ihre Zuversicht
bescheiden einen Plan.
Einst hob sie stolz ihr Angesicht,
sah Sonne, Mond und Sterne an.
Einst schien es, daß ihr schmaler Fuß
auf festen Boden tritt.
Doch plötzlich riß des Lebens Fluß
den Halt und alle Hoffnung mit.
Das Glück entwich wie weißer Sand,
der durch die Finger rinnt.
Vergeblich tastet ihre Hand,
der Halt verwehte mit dem Wind.
Die Pfütze in der Gosse fängt
ihr Spiegelbild nun ein.
Die scheuen Augen sind gesenkt
vor Scham und Not und Seelenpein.
Das Leben pulst an ihr vorbei,
als gäb' es sie nicht mehr.
Ein Niemand, frank und vogelfrei,
ein Strandgut aus dem Menschenmeer.
© 1998 Christine Zickmann